Eine überhastete Reform
15.04.2014 17:43
Die Bundesregierung hat mit der EEG-Reform allein die Interessen der Industrie bedient. Der politische Schaden ist immens und gefährdet den Erfolg der Energiewende.
Noch steht die jüngste Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) nicht im Bundesgesetzblatt, aber das Kabinett hat zumindest einen Entwurf verabschiedet. Ein guter Zeitpunkt für eine erste Bilanz des Versuchs, die Finanzierung der Energiewende im Stromsektor neu zu ordnen.
Begonnen hat alles mit einer großen Skandalisierung: 2012 und 2013 stiegen die Finanzierungskosten des EEG stark an. Im Wesentlichen lag dies an einer unglücklichen Kombination verschiedener Entwicklungen: Zum einen sind die Preise von Solarstromanlagen stark gefallen und die Politik hat es nicht geschafft, angemessen und hinreichend schnell darauf zu reagieren. Zum anderen ist auch an der Börse in Leipzig der Strompreis erheblich gesunken, weil das europäische Emissionshandelssystem nicht funktioniert. Und zu guter Letzt hat sich die Industrie zunehmend aus der Finanzierung der Energiewende verabschiedet. Die Angst vor einer Kostenexplosion, auch geschürt durch deren Gegner, wurde dadurch immer größer.
Aber ist diese Angst berechtigt? Richtig ist, dass jeder nicht privilegierte Stromverbraucher etwa sechs Cent pro Kilowattstunde für die Finanzierung der erneuerbaren Energien zahlt. Wahr ist aber auch, dass der Betrag nur bei vier Cent liegen würde, wenn sich alle Bürger und alle Unternehmen an der Finanzierung beteiligen würden. Und zu berücksichtigen ist, dass mit der EEG-Umlage zwei Cent zur Subventionierung der Solarstromerzeugung entrichtet werden. Die teure Solarstromförderung hat die Kosten für die Technologie weltweit in den vergangenen 20 Jahren um etwa 90 Prozent gesenkt. Dieser Strom ist heute zu Preisen verfügbar, die ihn auch für andere Regionen dieser Welt erschwinglich macht.
Etwa ein Viertel dieser Kostensenkung haben die deutschen Stromverbraucher mit ihrem Finanzierungsbeitrag "erkauft". Die Kosten des EEG sind somit nicht unerträglich hoch, sondern durchaus akzeptabel, wenn die Erträge aus den Investitionen und die daraus resultierenden Innovationen mit berücksichtigt werden. Denn auch ohne Förderung der Erneuerbaren wären erhebliche Investitionen notwendig, die finanziert werden müssten.
Gleichwohl kann natürlich nicht alles so bleiben, wie es ist. Wenn die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien die 25-Prozent-Marke übersteigt und demnächst in einer zunehmenden Zahl von Stunden die Stromversorgung vollständig durch erneuerbare Energie erfolgt, wird man regenerativen Strom nicht mehr nach dem heute vorherrschenden Prinzip "Hauptsache Menge" finanzieren und in den Markt drücken können.
Auch wird man nicht hinnehmen können, dass sich eine wachsende Zahl von Stromverbrauchern über die Eigenerzeugung aus der Finanzierung zurückzieht, ohne sich komplett aus dem System zu verabschieden. Und es wird nicht unbegrenzt weitergehen mit den immer aggressiver vorgebrachten Forderungen der Industrie, sich außer an der Finanzierung der Brennstoffkosten (die an der Strombörse den Preis setzen) in keiner Weise an den Kosten des Stromversorgungsystems zu beteiligen, von den zusätzlichen Kosten der Energiewende einmal ganz zu schweigen.
Und was bewirkt nun der Reformentwurf der Bundesregierung? Nicht viel, die materiellen Änderungen sind an fast allen Stellen sehr überschaubar und im Lichte der anstehenden Herausforderungen auch eher gradueller Natur. Ursprünglich hatte sich die große Koalition eine umfassende Neugestaltung des EEG vorgenommen. Die bei einer solch großen Reform unvermeidbaren Zumutungen sollten ausgewogen zwischen den Erneuerbaren, den Strom-Eigenerzeugern und der von der Umlage befreiten Industrie aufgeteilt werden.
Herausgekommen ist jedoch ein vollkommen asymmetrisches Modell, in dem die anfangs skandalisierten Kosten auf einmal keine Rolle spielen. Die Bundesregierung hat sich als Bewahrer der Interessen sehr spezifischer Lobbygruppen präsentiert. Wie kann sich die Regierung angesichts dieses Legitimationsverlustes noch als Interessenvermittler und Treiber der Energiewende positionieren? Denn die wahren und für viele Beteiligte mit weitgehenden Veränderungen verbundenen Herausforderungen, wie die Ausgestaltung des künftigen Strommarktes, der Netzausbau und die Kostenverteilung der notwendigen Investitionen, stehen erst noch an.
Großer politischer Schaden
Den größten Schaden hat jedoch die EU-Kommission angerichtet. Nur zur Erinnerung: Den Anstoß und den eigentlich unnötigen Zeitdruck für die derzeitige Mini-Reform löste die Kommission mit ihrem Beihilfeverfahren gegen die deutschen Industrieprivilegien aus. Wenn jetzt ein Modell herauskommt, in dem der Finanzierungsbeitrag der Industrie auch im optimistischsten Fall nicht steigt, sondern eher sinkt, dann hat das auch Brüssel zu verantworten.
Hinzu kommt, dass die Kommission ihre eigenen Beihilfe-Leitlinien in einem äußerst hektischen Verfahren erstellt hat, abweichend von den üblichen Verfahren und unverkennbar am Gesetzgebungszeitplan für das deutsche EEG ausgerichtet. Und das Ganze fand dann noch in nahezu exklusiven Verhandlungen mit Deutschland statt. Mit der europäischen Idee ist das kaum vereinbar. Wenn ein deutscher Energieminister die Leitlinien der EU-Kommission bereits am Vortag der Beschlussfassung in Brüssel der Presse vorstellt, kann und wird dies nicht ohne Folgen bleiben. Eine stärker europäisch und auch erneuerbar ausgerichtete Energiepolitik in Europa wird jetzt noch schwieriger, obwohl gerade das jetzt notwendiger wäre als jemals zuvor.
Die Reform und ihre Entstehung hat eine Menge an politischem Kapital in Deutschland und in Europa vernichtet. Und politisches Kapital ist eine nur begrenzt erneuerbare Ressource.
Quelle: © zeit-online.de 2014 - Autor: Felix Matthes